A. Brown: Civic Ceremony and Religion in Medieval Bruges

Titel
Civic Ceremony and Religion in Medieval Bruges c. 1300–1520.


Autor(en)
Brown, Andrew
Erschienen
Anzahl Seiten
XIV, 368 S.
Preis
€ 66,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Megumi Hasegawa, Historisches Seminar, Abteilung für Westfälische Landesgeschichte, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Städtische Zeremonien haben ebenso wie städtische Religiosität eine lange und fruchtbare Forschungsgeschichte. Dies gilt nicht nur für die Kirchengeschichte, sondern auch für die Sozial- und Stadtgeschichte. Zudem hat das städtische Ritual besonders seit den 1990er-Jahren aufgrund seines theatralischen Charakters im Kontext der neuen Kulturgeschichte mehr Aufmerksamkeit gewonnen. Allein im deutschen Sprachraum sind in jüngster Zeit viele geschichtswissenschaftliche Beiträge aus interdisziplinärer Perspektive, wie der Anthropologie, Theater-, Politik- und Ritualwissenschaft, publiziert worden.1 In ihnen wird beispielsweise die Prozession besonders unter Schlüsselbegriffen wie der symbolischen Kommunikation und dem Performative Turn gedeutet. Laienfrömmigkeit, Memoria, Stiftungs- und Fürsorgewesen als Ausdruck städtischer Religiosität wurden aus verschiedenen Perspektiven in den Blick genommen.2 Dabei rückte die Rekonstruktion der sakralen Topographie einer Stadt durch solche Praktiken besonders ins Blickfeld.3 Die nun vorliegende Arbeit von Andrew Brown kann ebenfalls in dieser neuen Forschungstendenz verortet werden.

Die Einleitung fokussiert die theoretischen Ansätze auf zwei Themenbereiche: ‚civic religion‘ und ‚civic ceremony‘. Unter Berücksichtigung der umstrittenen Definitionen von ‚civic religion‘, unter anderem von André Vauchez und Gerald Parsons, wählt Andrew Brown diesen Begriff als geeignetes Hilfsmittel („shorthand“), um die folgenden drei Aspekte des religiösen und sozialen Lebens im spätmittelalterlichen Brügge zu verstehen: erstens die Kontrolle der städtischen Obrigkeiten über die Aufgaben, die traditionell allein zur Kirche gehörten. Zweitens fragt er nach dem heiligen Charakter der städtischen Obrigkeit, der für ihre Legitimation eine große Rolle spielte (S. 15 und S. 21). Ein dritter Aspekt bezieht sich auf die religiösen Praktiken der Stadteinwohner (S. 18 und 21).

Im Hinblick auf die ‚civic ceremony‘ unterstreicht Brown, dass es sich ausdrücklich nicht um eine Adaption eines bestimmten Ritualmodells handelt, sondern um die folgenden drei Überlegungen (S. 27f.): Brown argumentiert, dass die Zeremonien ein unsicheres Instrument für die Etablierung einer gesellschaftlichen Ordnung oder politischer Herrschaft waren, da sich die Wirkung einer Zeremonie nicht vorhersehen ließ. Als zweiten Punkt macht Brown auf den liturgischen Charakter der Zeremonien aufmerksam, die aus der kirchlichen Tradition ihre Form und ihre Symbole ableiteten und dieses Attribut auch nie verloren. Anschließend akzentuiert der Verfasser, dass die Anwendung von bestimmten Ritualtheorien auf historische Ereignisse nicht statisch sein kann. Brown fasst damit in der Einleitung seine zentralen Thesen bereits zusammen. In den folgenden sieben Kapiteln werden seine Argumente nicht weiterentwickelt, vielmehr folgt eine präzise Darstellung mit einzelnen Beispielen zu den vorgestellten Thesen. Dementsprechend ist das Fazit im Prinzip eine Wiederholung der Einleitung.

In den ersten zwei Kapiteln behandelt Brown die ‚civic ceremony‘, die städtischen Prozessionen, Heilig-Blut-Prozession und ‚general procession‘ (processio generalis), die sich in Brügge bis zum 15. Jahrhundert zu einem repräsentativen Ritual entwickelten. Hier konzentriert sich die Darstellung primär auf die Konstitution dieser Prozessionen als städtische Rituale unter der Initiative des Stadtrates. Neben den Prozessionen nennt Brown im vierten Kapitel weitere Feste wie das Turnier, das Bogenschießen, die „Redekunst“ (‚rhetoric‘), die primär von den Gilden organisiert und vom Rat unterstützt wurden. Neben der Identitätsbildung nennt Andrew Brown als Grund für die Investitionen des Stadtrates in die Ausrichtung der Feste ihre Rolle als Schaufenster des städtischen Reichtums und Status nach außen. Brown weist darauf hin, dass die ‚civic constitution‘ ein Resultat von Kompromissen verschiedener Interessengruppen war.

In Kapitel drei bis sechs behandelt Brown die verschiedenen religiösen Praktiken der Stadteinwohner wie Hospitalgründungen, Armenspeisungen, testamentarische Legate, Kapellen- und Altarstiftungen und Heiligenverehrungen, aus der Perspektive der ‚civic religion‘. Dabei schließt er die Gründungen der Gilden und Bruderschaften in Brügge im 15. Jahrhundert in die Laienfrömmigkeit mit ein, da sie alle seiner Ansicht nach neben der Geselligkeit für das Gebet und für die Sorge um das Leben nach dem Tod gegründet wurden und auf die Fürbitte ausgerichtet waren. Als ein Merkmal der religiösen Praktiken Brügges nennt Brown, dass sich den Einwohnern aufgrund der dichten Bevölkerung und des proto-kapitalistischen Charakters der Stadt große Auswahlmöglichkeiten boten, die unter der Initiative des Rates systematisiert wurden. Hier versteht Brown die karitative Praxis des Stadtrates als Demonstration ihrer weltlichen Autorität und deren Verbindung zu Gott (S. 220f.).

Das siebte Kapitel behandelt ‚ceremony in the presence of the prince‘ und ‚ceremony in the absence of the prince‘. Der erste Teil thematisiert vor allem den Adventus der Herzöge. Unter Berücksichtigung der Tradition des Adventus analysiert Brown die Situation während der Burgunder Herrschaft im 15. Jahrhundert. Er versteht die Beteiligung und finanzielle Unterstützung der Herzöge an den städtischen Festen als Form einer Politik, die die Idee einer pan-regionalen Identität unter der herzoglichen Herrschaft verbreiten sollte (S. 255). Allerdings betont der Autor zugleich, dass die politische Botschaft der Inszenatoren selten klar genug war, um alle Adressaten sicher benennen zu können. Die weiteren finanziellen Aufwendungen der Herzöge für Almosen, Gründungen religiöser Institutionen sowie Stiftungen werden ebenso wie die auf Bitten der Herzöge durchgeführten Prozessionen unter ‚ceremony in the absence of the prince‘ kategorisiert. Brown betont, dass diese Praktiken interaktiv waren und sich die karitative Praxis der Herrscher häufig aufgrund des Anspruchs der Stadtbewohner realisierte.

Im letzten Kapitel benennt Brown die Veränderungen im 15. Jahrhundert, die er in einer größeren Distanz zwischen den Herzögen und der Stadt sowie der Entwicklung einer bürgerlichen Moral sieht, die vom Stadtrat mehr und strenger reguliert wurde. Als Charakteristika werden von Brown nüchterner Stoizismus, Arbeitsethik, die Eigenständigkeit sowie Frieden und Gemeiner Nutzen der Stadt genannt (S. 302).

Die Studie zeichnet ein umfangreiches Panorama der städtischen Religiosität im spätmittelalterlichen Brügge. Die Praktiken der Laienfrömmigkeiten untersucht Brown auf der Grundlage zahlreicher Quellen und statistischer Beobachtungen sorgfältig. Die Etablierungsprozesse verschiedener Zeremonien durch den Stadtrat werden schrittweise und sehr präzise vorgestellt, was den Vergleich mit anderen Fallbeispielen ermöglicht. Viele seiner Ergebnisse, wie die sakralen Attribute des Stadtrates, die Tendenz zur Zunahme der Laienstiftungen und die umstrittene Wahrnehmung der städtischen Rituale als Instrument der Stadtpolitik, werden seit langem vor allem im deutschen Sprachraum diskutiert. Daher ist es besonders bedauerlich, dass Brown zwar einige deutsche Beiträge erwähnt, jedoch inhaltlich kaum in seine Überlegungen miteinbezieht. Er vergleicht die flandrischen Beispiele zwar mehrmals mit italienischen Kommunen, jedoch nicht mit Städten des Heiligen Römischen Reiches oder Frankreichs und hebt so die Merkmale des Beispiels Brügge besonders hervor. Diese Vorgehensweise ist aber nur schwer nachzuvollziehen, da die politischen und gesellschaftlichen Situationen in den freien Städten und den Reichsstädten im Spätmittelalter aufgrund der direkten Kontakte mit den Städten Flanderns weitaus besser als Vergleichsbeispiele hätten dienen können.

Gleichwohl leistet Andrew Brown durch die genaue Untersuchung eines Fallbeispiels in Flandern einen wichtigen Beitrag zur Erforschung von Religiosität und Zeremonien in spätmittelalterlichen Städten in Nordwest-Europa.

Anmerkungen:
1 Jörg Gengnagel / Monika Horstmann / Gerald Schwedler (Hrsg.), Prozessionen, Wallfahrten, Aufmärsche. Bewegung zwischen Religion und Politik in Europa und Asien seit dem Mittelalter, Köln 2008.
2 Susanne Ehrich / Jörg Oberste (Hrsg.), Städtische Kulte im Mittelalter, Regensburg 2010.
3 Susanne Rau / Gerd Schwerhoff (Hrsg.), Topographien des Sakralen. Räumliche Dimensionen religiöser Kultur in der Vormoderne, Hamburg 2008.